|
 |
Martina
& Peter klettern
im Juni
2007 die Route
"Zodiac"
am
El Capitan
|
Grüne Linie: The Nose
Rote Linie: Zodiac
Wandhöhe: 600m
Zeit: 4 Tage
Schwierigkeit: VI
5.7 A3/C3F
Charakter:
technisch sehr schwierige, steile und überhängende Kletterei, 4
Tage große Ausgesetztheit
Schlafplatz:
Portaledge (Alubett)
Ausrüstung: 2
Haulbags, 3 Seile, 35 Liter Wasser, Proviant für 5 Tage,
Schlafsäcke, viel Sicherungsmaterial und ein Wecker
Kommentar:
Irre
|
|
 |
 |
Martina und ich machten wieder einmal
Urlaub im Yosemite Nationalpark, und es stellte sich die Frage,
welche Route wir in diesem Jahr klettern wollten. Eines war uns
klar, wir sollten unbedingt unsere neue Portaledge testen. Eine
Portaledge ist ein Hängebett zum Schlafen in der Wand. Dieses
Bett wird in einem eigenen Sack verstaut und nachgezogen. Es
besteht aus mehreren Alustangen, welche mit einer Schnur
miteinander verbunden sind. Beim Aufbau müssen diese Stangen
zusammengesteckt werden und anschließend wird ein reißfestes
Material darüber gespannt. Es besitzt einen zentralen Punkt zum
Aufhängen an einem Haken in der Wand. Dazu gibt es für den Fall,
dass es zu einem Schlechtwettereinbruch kommt, auch noch ein
Überzelt. Auf festen Boden stehend ist der Zusammenbau relativ
einfach zu bewerkstelligen, in der steilen Wand jedoch kann das
zu einem ganz schönen Problem werden. Man hängt ja völlig frei
im Seil, hat keinen Boden unter den Füssen und muss nun
versuchen, das Gestänge richtig zusammen zu stecken.
Eine Partaledge bietet oft den einzigen
ebenen Platz in so einer „Big Wall“ und es ist der einzig wahre
Komfort beim Schlafen.
|
Steiler Start |
|
 |
Die Route Zodiac schien für unseren Test
ideal zu sein. Eine steile und sehr überhängende Route im
rechten Wandteil des El Capitan. Gute 600 Meter ragt dort die
Wand empor und scheint von der Ferne betrachtet, nicht
kletterbar zu sein. Zodiac
bedeutet eigentlich „Tierkreis“. Wie kommt nun der Erstbegeher
zu dem Entschluss, seine Route nach diesen Sternbildern zu
benennen?
Ende der 60er Jahre trieb ein Killer, der
sich selbst Zodiac nannte, in San Francisco sein Unwesen. Er
ermordete mehrere Menschen und konnte bis heute nicht
ausgeforscht werden. Jedes mal wenn der Erstbegeher Charlie
Porter in der Wand war, um sich weitere Seillängen dieser
schweren Tour emporzuarbeiten, geschah in San Francisco ein
Mord. Das veranlasste schließlich Porter, seiner Route den Namen
Zodiac zu geben. Die Schwierigkeiten dieser Route liegen bei VI
5.7 A3/C3F. Dieser Schwierigkeitsgrad bedeutet folgendes:
VI steht für den Aufenthalt über
mehrere Tage in der Wand, 5.7 steht für die Freikletterbewertung
einzelner Passagen, A3 bedeutet, dass Sicherungsmittel schwer
anzubringen sind und nur mehr wenige Zwischensicherung einen
Sturz halten. Es kann daher vorkommen, dass eine Sturzhöhe von
bis zu 20 Meter erreicht wird. C3 bedeutet, dass Teile der Route
ohne Haken, dh nur durch das Legen von Klemmkeilen und mit
sonstigen technischen Raffinessen begangen werden können. F
bedeutet, dass bereits einige Zwischensicherungen vorhanden sein
können, man sich aber darauf nicht verlassen darf!
|
"Hook" |
|
Wir waren erst wenige Tage hier im
Yosemite und die Vorbereitungen für diese Tour waren fast
abgeschlossen. Wir planten die Route mit zwei Haulbags und einer
Portaledge
zu machen. 35 Liter Wasser und
genügend Proviant für 4 Tage in der Wand wurden benötigt. Wir
waren sehr aufgeregt, weil wir nicht wussten, ob wir mit den für
uns unbekannten Schwierigkeiten in der Wand klarkommen würden.
Vor allem die Materialfrage war eine interessante und spannende
Sache. Wenn man nicht die richtigen Hakengrößen oder Keilgrößen
dabei hat, kann das zu einem Problem werden, denn dann wären
bestimmte Passagen unpassierbar.
|
Wir beginnen im Morgengrauen, noch bevor die kalifornische Sonne
vom Himmel brennt, unseren Proviant in Etappen zum Wandfuß zu
schleppen. Einen Tag später steigen wir in die Wand ein. Die
erste Seillänge geht ziemlich glatt und senkrecht fast 45 Meter
empor.
Ich muss einen so genannten „Copperhead“ in eine seichte
Rissspur mit Hammer und Meißel eintreiben, um die erste
schwierige Passage überwinden zu können. Ein ungutes Gefühl,
wenn man das zum ersten Mal macht. Vorsichtig belaste ich diesen
Copperhead, der gerade einmal mein eigenes Körpergewicht hält.
Dieser spezielle Haken besteht aus einer Drahtschlinge, an
dessen Ende ein Metallzylinder aus Kupfer oder Aluminium
angebracht ist. Dieser Zylinder verformt sich nun beim
Einschlagen in eine Felsunebenheit und passt sich deren Form an.
Wenn man das richtig macht, hält es so viel, dass man sich daran
fortbewegen kann. Einen Sturz würde ein Copperhead niemals
halten können. 5 bis 6 solcher Copperhead in Serie
hintereinander belasten die Psyche schon enorm, wenn man
bedenkt, dass die Sturzhöhe mit jedem geschlagenen Copperhead
größer wird. Nach einer Stunde erreiche ich den Standplatz,
fixiere das Seil und gebe Martina das Zeichen zum Nachjümarn.
Sie
beginnt ihre beiden Steigklemmen in das Kletterseil zu klippen
und schiebt diese kontinuierlich vor sich her. Mit den Füssen
steigt sie dabei gleichzeitig Schritt für Schritt höher. Dazu
kommt noch, dass meine Zwischensicherungen zu entfernen sind,
was nicht immer leicht ist. Oft hängt man mit vollem
Körpergewicht gerade in jener Sicherung, die zu entfernen wäre.
Martina scheint sich jedoch wieder an jene Tricks zu erinnern,
welche sie schon in der „Nose“ drei Jahre zuvor praktiziert
hatte. Nach einer weiteren Stunde und einigen Schwierigkeiten
beim Cleanen, so heißt das Entfernen der gelegten Klemmkeile und
der geschlagenen Haken, ist Martina bei mir am Standplatz
angelangt. Die nächsten beiden Seillängen sind mit C2+ bewertet
und warten mit Überraschungen auf.
|
 |
"Copperhead" |
|
 |
Einige sehr glatte Stellen sind zu
überwinden und es kommt dabei mein „Hook“ zum Einsatz. Hooks
sind kleine hakenähnliche Metallwerkzeuge, die man auf winzige
horizontale Felsbänder legt, um sich daran fortzubewegen. Der
Hook wird mit einer Steigleiter verbunden und darf nach der
Belastung nicht mehr verrutschen.
Ich arbeite mich bis zu einem Felsband
namens „Dead Bird Ledge“ empor, nach zwei
weiteren Stunden habe ich es
geschafft. Martina und ich beschließen noch die 4. Seillänge
in Angriff zu nehmen, damit der Tag auch richtig ausgenutzt
ist und wir einen Vorsprung gegenüber möglichen anderen
Mitbewerbern haben. Was wir zu diesem Zeitpunkt allerdings
nicht wissen, ist der Umstand, dass wir diese Tour die
nächsten Tage für uns allein haben werden. Niemand scheint
sich dafür zu interessieren. Es ist allerdings auch schon
Mitte Juni und die Klettersaison am El Capitan neigt sich
langsam dem Ende zu. In den Sommermonaten ist es einfach
viel zu heiß für eine Big Wall. Links von unserer Route
versuchen sich zwei koreanische Seilschaften an einer
anderen Tour. Mühsam kämpfen sie sich mit einer Unmenge an
Proviant empor. Sie scheuen es nicht, ganze Regentonnen
durch die Wand zu ziehen. In der „North American Wall“ ist
noch eine Seilschaft zu erkennen und dann ist auch schon
Schluß am sonst so übervölkerten El Capitan. Fast hätte ich
vergessen „Pete Piton“ zu erwähnen, der mit einer Frau eine
der härtesten und gefährlichsten Routen, die „Wyoming Sheep
Ranch“, für die nächsten 3 Wochen belagert. Pete ist uns
bereits von früheren Yosemite Aufenthalten bekannt. Er hat
fast alle Routen am El Capitan gemacht, die meisten davon
Solo, dh ohne Partner.
|
"Friend" |
|
 |
Am vierten Standplatz angelangt fixieren
wir unsere Seile bis zum Boden und holen unsere beiden „Haulbags“
samt Portaledge herauf. In den Haulbags haben wir unsere
Wasservorräte und unseren Proviant samt Biwakausrüstung für die
nächsten Tage in der Wand verstaut. Bei den Haulbags handelt es
sich um rucksackähnliche Schleifsäcke, die man nachzieht. Eine
anstrengende Sache, wenn man bedenkt, dass so ein Sack bis zu 35
kg und mehr haben kann. Die Steilheit der Route erleichtert
allerdings das Haulen enorm, da der Haulbag so gut wie nie mit
dem Fels in Berührung kommt und somit einiges an Reibung
wegfällt. Mittlerweile fahren im Tal alle Autos mit Licht,
und das ist immer ein Zeichen für die rasch hereinbrechende
Dunkelheit. Als wir endlich alle Ausrüstung am vierten
Standplatz gezogen haben, ist es bereits finster. Die
Neumondnacht gibt kein Licht preis. Wir bauen mit Hilfe unserer
Stirnlampen das Bett zusammen. Kein leichtes Unterfangen im frei
hängenden Zustand. Am Boden ist das alles kein Problem, man geht
einmal drum herum und steckt alles zusammen. Hier heroben geht
das nicht, da muß man sich mit den Füssen schon gewaltig von der
Wand weg spreizen, um an die äußeren Enden des Gestänges zu
gelangen. Nach etlichen Drehen und Wenden ist unser Kunstwerk
fertig und ich setze vorsichtig meinen Fuß hinein. Es scheint zu
funktionieren, doch bevor ich es so richtig registriere, kippt
die Portaledge seitlich weg und ich mache beinahe einen Salto in
die Finsternis. Da es nur einen einzigen zentralen Aufhängepunkt
gibt, ist das ganze Ding anfällig für einseitige Belastungen.
Beim zweiten Versuch bin ich schlauer und es dauert nicht lange,
bis wir beide gemütlich in unseren Schlafsäcken liegend die
Sterne über uns beobachten.
|
|
|
 |
Es ist wunderschön, es ist einsam und es
ist ein unvergesslicher Moment, wir sind der Zivilisation
entsprungen, sind von nun an auf uns allein gestellt und
vergessen alles Drumherum. Es gab für uns jetzt nur ein Ziel,
nämlich unbeschadet das Gipfelplateau zu erreichen.
Beim ersten Dämmerlicht läutet unser Wecker. Es ist 5 Uhr
früh! Einfach aufstehen und die Toilette aufsuchen geht
nicht. Wir sind beide an unserem Seil gesichert und der
Aktionsraum beträgt gerade mal 1,8 Quadratmeter. Ich mache
daher vorerst einmal ein Foto, solche Situationen sind ja
nicht alltäglich! Martina beugt ihren Kopf über die
Portaledge hinaus und wirft einen Blick auf den 160 Meter
entfernten Boden. Wir beginnen einen Tee zu kochen und das
Frühstück vorzubereiten. Es gibt Brot, Streichkäse, Wurst
und etwas zerquetschten grünen Paprika. Gleichzeitig
beobachten wir das Treiben im Yosemite Tal. Die ersten
Kleinlastwagen beliefern bereits die Geschäfte mit frischen
Nahrungsmitteln. Alle wollen für den Tag gerüstet sein, denn
es werden auch heute wieder tausende Touristen in das Tal
kommen, um über die Naturschönheiten zu staunen, die
Souvenirläden leer zu kaufen und um die Kletterer mit
Fernrohren in der Wand zu beobachten.
|
Portaledge |
|
 |
Doch das berührt uns jetzt nicht, wir
sortieren unserer Ausrüstung, hängen alles wieder feinsäuberlich
und geordnet auf unseren Klettergurt und bauen das Bett ab. Bis
alles wieder ordentlich verstaut ist und ich bereit zum
Weiterklettern bin, vergehen glatte zweieinhalb Stunden. So ist
das eben beim Big Wall Klettern, Zeit spielt keine Rolle, an das
muß man sich erst gewöhnen. Nur gut, das in dieser Region das
Wetter oft über Wochen und Monate stabil bleibt. Sollte das
einmal nicht so sein, haben wir immer noch die Möglichkeit, über
unsere Portaledge ein wasser- und sturmdichtes Zelt zu hängen.
Unser heutiges Ziel ist der so genannte „Black Tower“.
Dieser schwarze Turm mitten in der riesigen Wand hat es in
sich. Erstens speichert der dort vorherrschende schwarze
Fels die Hitze zu unserem Leidwesen ganz gewaltig und
zweitens handelt es ich um eine der gefährlichsten Stellen
der gesamten Route. Am Turm angelangt stehe ich mit einem
Fuß genau auf seiner schneidähnlichen Spitze. Über mir zieht
ein überhängender feiner Riss empor. Ich suche nach einer
Stelle, wo ich einen Haken einschlagen kann. Der Riss ist
kaum sichtbar und sehr fein. Mir fällt nur mehr mein „Birdbeak“
ein, der hier eventuell passen könnte.
|
Martina in unserem
"urgemütlichen Bett" |
|
 |
Ein Birdbeak ist ein ganz spezieller dünner Haken, der die
Form eines Vogelschnabels besitzt. Wie wild dresche ich auf
den Beak ein, sodass mir vorkommt, er würde den Fels
spalten.
Anschließend hänge ich meine Leiter ein
und belaste vorsichtig. Ich weiß, dass ich mir jetzt auf den
nächsten 20 Metern keinen Fehler erlauben darf, da ich sonst im
Falle eines Sturzes genau auf die Spitze des Black Towers fallen
würde. Die Stelle ist mit A3 bewertet, was bedeutet, dass
Zwischensicherungen sehr schwer anzubringen sind und nur mehr
wenige einer Sturzbelastung standhalten. Als nächstes lege ich
einen „Offset Nut“, das ist ein konischen Minikeil, der relativ
gut belastbar ist, sofern er richtig liegt. Bevor ich mich dazu
entschließe, die Zwischensicherung voll, dh mit meinem ganzen
Körpergewicht zu belasten, teste ich immer sehr genau, was sie
hält. So arbeite ich mich Meter um Meter höher. Martina sichert
mich angstvoll mitten in dieser Gluthitze. Ich selber scheine
auf die Angst zu vergessen, so konzentriert arbeite ich mich
höher. Es vergeht eine Stunde und es vergeht eine zweite Stunde.
Trotz der hellen Kleidung brennt uns die kalifornische Sonne aus
der Wand. Wir trinken sehr viel, es ist gewaltig und
unbeschreiblich heiß mitten in dieser schwarzen Umgebung. Mir
brennen bereits die Füße vom langen Stehen in den Trittleitern.
Um 16.00 Uhr erreiche ich endlich den Standplatz.
|
Martina und Peter aus
der Ferne betrachtet |
|
Jetzt beginnt nach dem unendlich langen
Warten erst für Martina die körperliche Anstrengung. Sie löst
die Fixierung unseres ersten Haulbags. Schnell ziehe ich diesen
mit meinen letzten Kräften empor. Dann folgen der zweite Sack
und die Portaledge. Während Martina nachjümart und die Länge
wieder cleant, habe ich genug Zeit, langsam und gemächlich
unseren Proviant hoch zu ziehen. Sobald Martina bei mir am Stand
ist, übernimmt sie das Hochziehen. Gemeinsam bauen wir unser
Bett erneut zusammen. Heute geht es leichter, da wir schon etwas
mehr Routine haben, limitierender Faktor ist jedoch unsere
Ausgelaugtheit und Müdigkeit. Die Autos im Tal drehen schon
wieder das Licht auf und der Tag wird bald der Nacht weichen.
Wir setzen unsere Stirnlampen auf, genehmigen uns eine
Abendmahlzeit und richten uns für die Nacht. Trotz Müdigkeit
kommt Martina auf die Idee, unsere restlichen Wasserflaschen zu
zählen. Das Ergebnis ist ernüchternd und lässt mich noch einmal
munter werden. Für die restlichen Tage verbleiben nur mehr 2
Liter pro Mann und Nase. Wir hatten heute wegen der Hitze einen
sehr hohen Verbrauch, mehr als berechnet! 2 Liter können genug
sein, können aber auch viel zu wenig sein. Da wir nicht wissen,
welche Schwierigkeiten noch auf uns zu kommen und wir damit
rechnen müssen, dass es weiterhin sehr heiß bleibt, überlegen
wir die weitere Vorgehensweise. Die meisten Bergungen am El
Capitan finden wegen Dehydrierung und Erschöpfung der Kletterer
statt. Solche Bergungen sind eine gewaltige Sache und dauern oft
ein bis zwei Tage. Auf keinen Fall wollen wir so etwas
riskieren. Wir beschließen daher noch am selben Abend, dass wir
am nächsten Morgen einen Rückzug machen werden. Wir sind jetzt
auf nicht ganz halber Wandhöhe und es ist die letzte Möglichkeit
für einen Rückzug. Weiter oben haben wir dann fast keine Chance
mehr, da der Fels weit überhängt. All unsere Anstrengungen
scheinen umsonst gewesen zu sein. Schwer enttäuscht und
entmutigt schlafen wir ein.
|
Als wir am Morgen mit den Vorbereitungen
zum Abseilen beginnen, hat Martina eine super Idee. Ihrer
Meinung nach sollten wir zu diesem Standplatz zurückkehren. Das
bedeutet, dass wir sämtliche Ausrüstung, die wir für eine
Rückkehr hierher nicht benötigen, mitten in der Wand auf diesem
Standplatz hängen lassen. Ich beginne zu rechnen und komme zum
Schluß, dass wir mit unseren Seilen, selbst wenn wir sie alle
zusammenknüpfen würden, den Boden nicht mehr erreichen. Das
heißt, wir müssen die Seile beim Abseilen zum Teil abziehen und
später dann einige Passagen erneut klettern. Wir nehmen alles
Nötige an Material mit und beginnen mit der Talfahrt. Einsam
bleiben ein Haulbag und die Portaledge zurück. Am späten
Nachmittag erreichen wir unbeschadet wieder festen Boden. Wir
laufen zu unserem Auto und fahren auf den Campingplatz, wo wir
noch in derselben Nacht mit dem Befüllen von Wasserflaschen
beginnen. Wir gönnen uns einen Tag Pause und tragen das Wasser
zum Einstieg. Danach statten wir noch Tom, einem
Kletterfotografen, einen Besuch ab. Er meint, dass unsere
Entscheidung die richtige war, es sei ungewöhnlich heiß und die
meisten Kletterer würden aus diesem Grund den El Capitan meiden.
Er zeigt uns einige Bilder, die er von uns gemacht hatte. Wir
sind begeistert, ich sah mich ganz groß auf der Spitze des Black
Tower stehen. So ein Teleobjektiv ist schon eine super Sache.
Neu motiviert starten wir wieder in die
Wand. Wir steigen mit unseren Steigklemmen an den Fixseilen
empor, klettern einige Stellen erneut und ziehen unser
zusätzliches Wasser mit einem Haulbag nach. Wir benötigen einen
ganzen Tag, um wieder dorthin zu gelangen, wo wir schon einmal
gewesen sind.
|
 |
Am frühen Morgen des nächsten Tages starte ich in den so
genannten „Gray Circle“, ein überhängender Wandteil mit hellem
grauen Fels. Ich benutze meine „Cam Hooks“ um schneller
voranzukommen. Ein Cam Hook ist ein ganz spezielles Werkzeug,
das man in den Riss legt und belasten muß. Es wird dadurch eine
Torsionskraft erzeugt und der Cam beginnt zu klemmen. Sobald die
Belastung wegfällt, fällt auch der Cam wieder aus dem Riss. Wenn
man diese Art von Kletterei nicht gewohnt ist kommt man ganz
schön ins Schwitzen, nicht von der Anstrengung sondern eher von
der Angst. Ich dachte mir immer, wenn es bei anderen Kletterern
funktioniert, muß es auch bei mir gehen! Nach einiger Zeit
bekommt man dann ein Gefühl dafür. Man lernt offenbar nie aus,
selbst hier heroben in dieser steilen und überhängenden Wand
nicht.
Die Stunden vergehen und am Nachmittag hatten wir 2
Seillängen geschafft. Wir sind bereits etwas müde, doch
müssen wir heute unbedingt noch eine Länge machen, damit wir
im Zeitplan bleiben. Die nächste Seillänge heißt „Nipple
Pitch“ und das zu Recht, denn von der Ferne betrachtet
schaut die Felsformation tatsächlich wie eine Brustwarze
aus. Es handelt sich hier um die Schlüsselseillänge, das
heißt um die schwierigste Seillänge der ganzen Tour. Unter
einem langgezogenen dachartigen Felsüberhang befindet sich
ein schmaler horizontaler Riss mit einer Länge von ungefähr
15 Metern. Die Haken müssen dort von unten nach oben
eingeschlagen werden und Keile sind nur schwer anzubringen,
da der Riss nicht sehr tief ist. Es besteht auch die
Möglichkeit, Cam Hooks zu verwendet, vorausgesetzt man traut
sich einen invertiert gesetzten Cam auch zu belasten!
|
Peter und Martina am "Black Tower" |
|
 |
Vorsichtig und ruhig arbeite ich mich diesen Riss nach rechts
und als ich endlich die Nipple erreicht habe, mache ich ein Foto
von Martina. Sie hängt ganz einsam mit unseren beiden Haulbags
am Stand und verfolgt gespannt meine Bewegungen. Ich weiß, dass
es für sie sehr schwer wird diese Seillänge zu cleanen. Auf 50
Meter Länge hängt der Fels 15 Meter über. Die letzen Meter zum
Standplatz unter dem berühmten „Mark of Zorro“ Dächern gestalten
sich noch einmal schwierig. Sie sind wieder mit A3 bewertet und
ich
muss
ganz spezielle und von mir abgesägte Haken, so genannte „Sawed
Angles“ verwenden, da die originalen zu lang für diesen
Riss
wären. Das Absägen habe ich natürlich bereits während der
Vorbereitungsphase am sicheren Boden erledigt.
Ein
amerikanischer Kletterer hatte mir die nötigen Tipps dazu
gegeben.
Es ist 18.00 Uhr, als ich den Standplatz erreiche. Der
Kletterfotograf im Tal hat die Brücke am Fluss, wo er immer
steht, bereits verlassen. Martina läßt unsere
Haulbags
in die Luft hinaus, und es ist tatsächlich so, dass die
Säcke mindestens 15 Meter von der Wand entfernt hängen.
Unglaublich, während der Kletterei ist mir diese extreme
Ausgesetztheit gar nicht aufgefallen. Die
Haulbags zeigen nun die senkrechte
Linie sehr deutlich. Wie ein Lot hängen sie an unserem Seil.
Martina beginnt mit dem cleanen. Es wird einige Zeit dauern,
bis sie bei mir am Standplatz sein wird. Ich habe in der
Zwischenzeit genügend Zeit, die Gegend zu betrachten und den
Haulbag hoch zu ziehen.
|
Peter am Standplatz, es
ist sehr steil und ausgesetzt! |
|
 |
Der Half Dome, der das Valley im Osten begrenzt, beginnt sich
komplett rot zu färben. Ein alltägliches Schauspiel, wenn sich
die Sonne am Abend dem westlichen Horizont nähert. Langsam ziehe
ich den Haulbag Zentimeter für Zentimeter höher und ich nutze
dabei das Gewicht meines Körpers als Gegenlast, damit es
leichter geht. Plötzlich bemerke ich, dass das Haulbagseil
beschädigt ist. Der Seilmantel war an einer Stelle besonders
stark abgerieben und man konnte den Kern des Seiles bereits
deutlich sehen. Das war schlecht, denn wenn dieses Seil
unbrauchbar wird, haben wir ein Problem. Ich beschloß daher, die
defekte Stelle mit einem Tape zu kleben, um so ein weiters
Aufspleißen des Seilmantels zu verhindern.
Kurz schaue ich nach Martina, kann sie
aber immer noch nicht sehen, denn sie befindet sich
unter der Nipple. Über mir stehen
drei riesige, schwarze und weit ausladende Dächer. Die
Amerikaner bezeichnen diese Dächer als „Mark of Zorro“.
In diesem Moment meldet sich Martina mit einem Juchizer, sie
hat das Ende der Nipple erreicht. Es fehlen ihr nur mehr
zehn Meter bis zu mir am Standplatz. Ich schieße unsere
Seile ordentlich auf und überlege mir, auf welchen Haken wir
unsere Portaledge dieses Mal hängen.
|
Blick von oben zu
Martina, die am Seil nachsteigt |
|
 |
Martina schafft schließlich auch noch die
letzten Meter und gemeinsam beginnen wir nun das Bett
aufzubauen. Doch heute will es nicht so richtig funktionieren.
Wir haben ein arges Durcheinander mit den Gestängen. Es hört
sich wie ein Windspiel an, wenn die Alustangen durch die
Bewegungen untereinander zusammenschlagen und man hat das
Gefühl, das ganze Tal kann dieses Klimpern hören. Dazu kommt,
dass der Standplatz sehr überhängend und ausgesetzt war. Wir
nutzen unsere kurzen Trittleitern, damit wir einigermaßen stehen
können. Es ist sehr mühselig und wir sind bereits sehr müde von
den gewaltigen Strapazen des heutigen Tages. Wir wissen jedoch,
dass das Bett unsere Rettung ist, und dass wir noch einmal alles
geben müssen, um es aufzubauen. Die ganze Nacht im Gurt hängend
zu verbringen, hätte fatale Folgen und wir wären morgen nicht
mehr in der Lage auch nur einen Meter zu klettern.
Nach einigen Versuchen schaffen wir es
dann schließlich doch. Endlich ein ebener Fleck, ein Stückchen
„Boden“ unter den Füssen. Nun kann man den Klettergurt entlasten
und den Körper fallen lassen. Es ist eine Wohltat für den
gesamten Stützapparat und die Muskeln.
Am Morgen öffne ich die Augen und sehe
über mir drei riesige schwarze Dächer. Ich richte mich auf
und merke, wie mir der ganze Körper weh tut. Zu diesem
Zeitpunkt kann ich mir noch nicht vorstellen, wie ich heute
über diese gewaltigen Dächer klettern soll. In einer Big
Wall gibt es kein Zurück, man kann nicht einfach aufhören
und nach Hause gehen. Das ist oft der Unterschied zu anderen
Sportarten. Genau dieser Umstand bewirkt eine gewaltige
psychische und physische Anspannung und Belastung über
mehrere Tage.
|
Von der Ferne
betrachtet sieht das so aus! |
|
 |
Das Mark of Zorro stellt dann aber kein Problem dar, wir kommen
gut voran und haben die steilsten Überhänge hinter uns. Nun wird
die Wand wieder senkrecht. Das heutige Etappenziel ist das „Peanutledge“
und wir erreichen es mühelos. Ich stelle mich an das Ende von
diesem Felsband und blicke in die Tiefe. Es sieht aus, als würde
ich auf einer Staumauer stehen und hinabschauen. Die Wand wölbt
sich unter mir nach innen, unten sehe ich eine Seilschaft in den
ersten Längen der Zodiac. Das
muss
der Amerikaner Zak sein, der mit seiner Freundin die Tour machen
wollte. Für ihn ist es eine reine Routineangelegenheit, denn er
kennt die Zodiac bereits von mehreren Begehungen. Er ist es
auch, der uns gute Tips und einen Einblick in die amerikanische
Bigwalltechnik gegeben hat. Ein sehr freundlicher und netter
Bursche, mit einem Hauch von Verrücktheit. |
Nichts für schwindlige
Typen und schwache Nerven! |
|
 |
 |
Peter klettert die "Nipple
Pitch" |
Die "Nipple" sieht
tatsächlich wie eine (weibliche) Brustwarze aus! |
 |
 |
Der Haulbag gibt die
senkrechte Linie vor! |
Höchste
Konzentration ist in dieser Route erforderlich! |
 |
 |
Blick von der "Nipple
Pitch" zurück zu Martina |
Die steilen Dächer des "Mark of Zorro" |
 |
 |
Martina unter dem
dritten Dach des "Mark of Zorro" Peter zieht gerade den
Haulbag hoch. |
Ohne Wecker hätten wir vor Müdigkeit
womöglich den Tag verschlafen! |
 |
 |
Blick in das Tal zum
"Merced River" |
Martina arbeitet sich
trickreich empor |
 |
Die letzte Nacht in der Wand am Peanutledge ist eine sehr
angenehme für uns, da wir wissen, morgen würden wir bereits am
Gipfelplateau schlafen. Nur noch ein Tag voller Konzentration
und Anstrengung steht uns bevor. In der ersten Seillänge am
letzten Tag passiert mir dann aufgrund einer kleinen
Unachtsamkeit ein kurzer Sturz und ich hänge in der Luft.
Erschrocken raffe ich mich aber gleich wieder auf und versuche
die Stelle noch einmal. Ich
muss
über ein sehr steiles kurzes Dach hinaussteigen. Es gelingt und
ich rufe zu Martina „Stand“. Sie jümart rasch bis unter das
Dach. Ich verlängere meine Selbstsicherung so weit, dass ich
ebenfalls in das Dach einsehen kann und fotografiere Martina
dabei, wie sie das Dach trickreich cleant und überwindet. Der
Wind ist am heutigen Tag sehr stark und erschwert das
Fortkommen. Ständig muss ich mit Hilfe meiner Zähne die
senkrecht nach oben geblasenen Trittleitern herunterholen, um
mit meinen Füssen hineinsteigen zu können. Die letzte Seillänge
unter dem Gipfelplateau ist noch einmal mit A3 bewertet. Ich
schlage noch einmal einen Cooperhead, um die Stelle zu
überwinden. Noch ein kurzer Rechtsquergang und ein letzter Blick
in die steile Wand hinunter zu Martina, bevor ich meine Füße auf
das ebene Plateau schwinge. Zum letzten Mal baue ich den
Standplatz auf und fixiere das Seil für Martina. Nach einer
halben Stunde ist sie bei mir angelangt und gemeinsam ziehen wir
unsere Haulbags über die Ausstiegskante. Wir haben es geschafft!
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl und wir können es kaum
fassen, unsere zweite Big Wall nach der „Nose“ im Jahre 2004 am
El Capitan vollendet zu haben. |
Peter in den letzten
Seillängen |
|
 |
 |
Endlich: nach 4 Tagen am Gipfel |
Sonnwendfeuer am El
Capitan |
 |
 |
Martina |
Peter |
Wir suchen nach einem geeigneten Biwakplatz für die Nacht und
bereiten das Abendessen vor. Wir richten uns ein dreigängiges
Menü. Es gibt Trockenfleisch mit scharfem Senf, eine Nudelsuppe,
Brot, Salami und Käse. Als Nachspeise erfreuen wir uns an
Dosenfrüchten und einem Stück Schoko. Wir genießen den
Sonnenuntergang, der wieder einmal den Half Dome glutrot färbt.
Ich sammle Holz und wir zünden ein Lagerfeuer an und feiern
unsere Tour noch bis spät in die Nacht. Es ist der 21. Juni und
es ist Sonnenwende. Ohne es geplant zu haben, haben wir ein
Sonnwendfeuer am El Capitan entzündet! Wir sind so glücklich,
dass wir lachen und zugleich fast weinen. Ein
unvergesslicher
Moment, der sich ein Leben lang in unserem Kopf abspeichern
wird.
|
ENDE |
|
|
|